Der Standard: Das Griss um Diven und Prinzessinnen

IT-Spezialisten sind in vielen Betrieben Mangelware. Branchenvertreter halten das Problem für hausgemacht und nehmen auch die Unternehmen in die Pflicht. Zaghaft, aber doch wendet sich der Nachwuchs den neuen Lehrlingsausbildungen zu.

Die heimische Betriebsansiedlungsagentur ABA wirbt neuerdings um ITFachkräfte im Ausland. Man hat sich dafür extra Ex-DiTech-CoGründerin Aleksandra Izdebska geholt, die EU-weit nach den begehrten Spezialisten angeln soll. Doch ist es um die Fachleute hierzulande tatsächlich so schlecht bestellt, wie Branchenvertreter klagen? Laut Wirtschaftskammer können derzeit zumindest 10.000 IT-Stellen nicht besetzt werden. Eine aktuelle Analyse des Jobportals Stepstone legt nahe, dass das Ächzen nicht unbegründet ist. „Kreativer Kopf für innovatives Team, leidenschaftliche Entwicklerinnen mit Weitblick, ambitionierte Entwicklerinnen mit fundierten Kenntnissen“, wer einschlägige Plattformen durchforstet, stößt schnell auf Anzeigen wie diese. Stepstone hat eine halbe Million Stellenanzeigen ausgewertet. Experten aus IT und technischen Berufen sind demnach besonders heiß begehrt: Sie haben mit 28 Prozent bundesweit den größten Anteil an Ausschreibungen. In Wien (29 Prozent) und Oberösterreich (38 Prozent) liegt der Anteil noch deutlich höher.

Digitalisierung kommt an
Dabei gehen IT-Kräfte selten aktiv auf Suche, sagt Rudi Bauer, Geschäftsführer von StepStone Österreich. Nicht länger als drei bis vier Tage seien sie am Markt. Wundern kann er sich darüber nicht: „Die Digitalisierung kommt bei kleinen und mittleren Unternehmen in ländlichen Regionen an. Dafür suchen sie verstärkt Experten.“ Auch aktuelle Zahlen des Arbeitsmarktservice AMS legen nahe, dass das Klagen nicht unbegründet ist. 628 offenen Stellen für akademisch ausgebildete ITKräfte standen im Februar 243 Arbeitslose gegenüber. 539 offene Stellen auf Maturaniveau treffen auf 216 Arbeitslose. Insgesamt ist die Lücke beim AMS aber überschaubar. In Summe gab es im ITBereich 2596 offene Stellen – gegenüber 2239 Arbeitslosen. Für Peter Lieber ist auch das ein Teil des Problems. Lieber hat als Präsident des Verbands Österreichischer Software Industrie (VÖSI) einen guten Überblick, was in der Branche läuft. Auf eine Zahl will er sich gar nicht festlegen „sie wird jedes Jahr höher werden, denn vermutlich ist jede Fachkraft in Zukunft IT-affin“ sagt er. 10.000 Fachkräfte oder mehr, diesen Zahlen stünden 6800 arbeitslose IT-Fachkräfte gegenüber. Über 50-Jährige seien von den Betrieben aussortiert worden, sagt er. Was mit den Kosten zu tun habe, aber nicht nur. „Viele sind auch nicht mehr bereit, sich entsprechend weiterzubilden.“

Gute Voraussetzungen
Was er etwas sarkastisch anfügt: Gesucht werden am besten 19-Jährige mit einer Erfahrung von fünf Jahren. Lieber nimmt vor allem
die Betriebe in die Pflicht: „Unternehmen sind in immer mehr Branchen immer weniger bereit, die Leute auszubilden.“ Dem Argument so mancher Chefs, das hinter vorgehaltener Hand zu hören ist, „da bilde ich die Jungen aus, und dann laufen sie davon“, kontert er: „Man muss die Leute dann auch fair bezahlen.“ Es gelte eben, über einen längeren Zeitraum zu investieren. Die Voraussetzungen im Bildungssystem im Sinne technischer Bildung seien in Österreich jedenfalls geradezu paradiesisch.

Nicht nur große IT-Unternehmen, sondern etwa auch Handelsriesen oder andere Branchen müssten in größerem Ausmaß ausbilden, findet er. Denn die Crux in der heimischen IT-Struktur: 70 Prozent sind EPUs und damit kein Ausbildungsbetrieb. 68.000 Betriebe im Bereich Unternehmensberatung/IT bilden insgesamt keine 900 Lehrlinge aus. Die meisten Lehrstellen gibt es in der Indus trie. Man bilde ohnehin aus, kontert Nicole Berkmann vom Handelsriesen Spar. Den Mangel bestätigt auch sie. In Salzburg konkurriere man mit großen Betrieben wie Porsche Informatik oder Palfinger um IT-Kräfte. Spar hat reagiert und nahe Villach ein ausgelagertes IT Zentrum errichtet, weil dort die Konkurrenz um die Kräfte geringer ist und mehr ITler verfügbar sind. Während bei Spar derzeit von 2400 Lehrlingen zwei mit der der neuen Lehre zum E-Commerce-Kaufmann begonnen haben (50 E-Commerce-Lehrlinge bildet der Handel bisher aus, Anm.), ist die neue Coding-Lehre bei Spar gar nicht gefragt. Peter Lieber hält von dieser Art Ausbildung ohnehin nichts: „Coding ist die unterste Schublade“, ein Entwickler denke größer: „Das sind Prinzessinnen, Divas, Künstler.“ Alfred Harl, Obmann des Fachverbandes Unternehmensberatung und IT (UBIT), sieht das anders: 386 Coding-Lehrlinge gebe es bereits. Durchaus ein Erfolg, der sich der Digital-Ministerin verdanke. Die Regierung mache tatsächlich „überraschend viel richtig“, sagt auch Lieber. Sie rufe auf, zu kooperieren und Netz – werke zu bilden. Am Ende bleibe aber nichts anderes übrig: „Die letzten Meter müssen die Firmen gehen.“